Das Leben und die Dinge by Ulrich Greiner
Autor:Ulrich Greiner [Greiner, Ulrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Jung und Jung
veröffentlicht: 2015-09-18T16:00:00+00:00
Garten
Den Garten des kleinen Frankfurter Reihenhauses, wo wir zur Miete wohnten, pflegte mein Großvater zu bewirtschaften. In jenen Jahren waren die Schrecken des Krieges noch so gegenwärtig, dass man den Hunger, den mir meine Mutter als permanente Folter geschildert hat, noch immer als allzeit drohende Gefahr fürchtete. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter eines Tages in Tränen ausbrach und rief: »Es gibt Krieg!« Das war, wie ich später begriff, im Jahr 1956, als die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes und die fast gleichzeitige Suez-Krise die latente Kriegsangst beflügelten. Meine Eltern tätigten Hamsterkäufe, und im Keller lagerten Dutzende von Kanistern mit Sonnenblumenöl – der Kriegsmangel an Fett und Öl war noch in übelster Erinnerung. Noch Jahre danach stöhnte die Familie unter der Aufgabe, das nicht sonderlich gute Öl Kanister um Kanister aufzubrauchen.
Vor diesem Hintergrund ist es begreiflich, dass man sich glücklich schätzte, eine minimale Landwirtschaft zu haben, die eine gewisse Grundversorgung zu ermöglichen schien. Der Boden unseres Gartens allerdings war so schlecht, dass er für Kartoffeln nicht in Frage kam. Immerhin versuchte sich mein Großvater an anderem nützlichen Gewächs. Er pflanzte Bohnen an, Karotten, Erbsen, Tomaten, Salat. Ich weiß das, weil er mich schon früh als Gehilfen heranzog. Ich durfte die im Boden steckenden Holzstäbe mit Nähgarn kreuzweise verbinden, damit ein Netz entstünde, das die Vögel davon abhielte, die frische Saat aufzupicken. Unter die Erdbeerpflanzen waren Büschel aus Holzwolle zu deponieren, damit die reifen Beeren nicht im Regen verfaulten. Viel war zu tun, und mein Großvater, ein mächtiger, kräftiger Mann, brachte mir manches bei – darunter übrigens auch die Kunst, Weidenflöten zu schnitzen.
Es war nun leider so, dass die Bohnen nur mäßig gediehen, dass die Karotten, die bei uns Gelbe Rüben hießen, allenfalls kurze und oftmals gespaltene Wurzeln hervorbrachten, dass von den Erbsen nur ein paar Schoten heranreiften, dass die Tomaten mickrig waren und schwarze Ringe bekamen. Die Beete mussten von Unkraut befreit und immer von Neuem gegen die Gier der Vögel gesichert werden, und sobald die übrig gebliebene Saat zu gedeihen schien, kam der Sommerregen, mit ihm Fäulnis und Schneckenfraß. Einzig der Kopfsalat machte sich gut. Als er jedoch reif war, fing er rasch an zu »schießen«, was bedeutete, dass man ihn ernten musste.
So groß die Familie auch war (sieben Personen damals: Großvater, Tante, die Eltern und drei Kinder) – sie hätte sich pausenlos von Kopfsalat ernähren müssen, um die Ernte aufzuzehren. Es kam hinzu, dass der Salat just in jenen Wochen, da wir ihn im Überfluss hatten, ausgesprochen billig war. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter, die das Haushaltsbuch führte (ich musste ihr bei der Addition der Posten helfen, um meine Rechenkünste zu üben) und die über Preise Bescheid wusste, das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag kritisierte. Ihr eigentliches Motiv bestand wohl darin, ihren Vater, der keineswegs so stark war, wie er aussah, der im Gegenteil an Herzbeschwerden litt und ihnen wenig später erlag, davon abzuhalten, sich in der Gartenfron zu erschöpfen. Zumal immer klarer wurde, dass die Versorgungsnot der Kriegsjahre schiere Vergangenheit war. Alles gab es im Überfluss. Das einzige Problem war, es bezahlen zu können.
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